Den Eltern ein Denkmal: Ethel & Ernest - A Graphic Novel

 

Gefragt, worüber sie sich an geschenkwürdigen Tagen am meisten freuten, stehen bei Eltern, wie es auch Ethel & Ernest waren, oftmals zwei fromme Wünsche hoch im Kurs:

 

  • ein liebes Kind

          und / oder

  • ein selbstgemaltes Bild

 

Nicht selten entscheiden sich die Sprösslinge zuerst für "oder" und dann sogleich für letzteres. Zum einen, weil es schneller geht - zum anderen weil "liebes Kind" eine unzureichend bestimmte Begrifflichkeit, "selbstgemaltes Bild" hingegen eindeutig definiert ist.

 

Einer, der seinen Eltern mit "Ethel & Ernest" gleich ein ganzes Buch eigener Bilder widmete, ist Raymond Briggs. Sie selbstgemalt zu nennen, würde dem Schaffen des englischen Autors und Illustratoren spotten, in dessen Werk sich mit jener Graphic Novel eine weitere preisgekrönte Arbeit einreiht.

 

Vier Jahrzehnte Zeitgeschichte - und 43 Jahre Liebesgeschichte

 

In "Ethel & Ernest" gewährt Briggs Einblick in das Leben seiner Eltern, die nicht nur der englischen Arbeiterklasse, sondern auch jener Generation angehörten, welche die bewegtesten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts erlebte. Mit der Großen Depression, dem Zweiten Weltkrieg, der Entwicklung der Atombombe, der Mondlandung und den gesellschaftlichen Umbrüchen der 1960er Jahre illustriert Briggs vier Jahrzehnte Zeitgeschichte - und parallel 43 Jahre Liebesgeschichte seiner Eltern: Von deren Kennenlernen in den späten 1920er Jahren, ihrer Hochzeit, der Geburt Raymonds und ihrem gemeinsamen Leben in einem englischen Vorort bis zu deren beider Tod im Jahre 1971.

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Ethel & Ernest und der Wandel der englischen Gesellschaft

 

Auf 100 Seiten wird erzählt, wie jene Ereignisse das Leben von Mutter Ethel, Hausfrau mit bürgerlichen Bestrebungen, und das seines Vaters Ernest prägten, einem unbeschwerten Milchmann mit sozialistischen Idealen und großem Interesse an modernem Fortschritt und Technologie. Eindrucksvoll illustriert Briggs, wie sich Ansichten und Prioritäten ändern, wie Sorgen und Nöte mal existenziell, mal vergleichsweise fast schon lächerlich sind und wie selbst grundlegende Gegensätze zusammenschweißen können, wenn ihnen mit Humor und Respekt begegnet wird.

 

Aber auch er, Raymond Briggs selbst - seine Kindheit, das Kunststudium und seine erste Frau Jean, die an "Kopfproblemen" litt, sind  in ebenjener Graphic Novel verortet, mit der der Autor seinen Eltern bereits 1998 ein (englisches) Denkmal setzte. Keine zwanzig Jahre später erschien nun beim Berliner Independent Comicverlag Reprodukt dieses besondere Stück Geschichte auch auf deutsch. Wer den eigenen Buchbestand also nicht nur optisch sondern auch inhaltlich bereichern möchte, dem sei "Ethel & Ernest - Eine wahre Geschichte" ans Herz und in den Warenkorb gelegt.