Einvernehmliche Wahrheit

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Wahrscheinlich hast Du um diese Zeit nicht mehr mit einer Reaktion gerechnet - dich vermutlich nur deshalb überhaupt noch gemeldet. Ich tue uns den Gefallen und lasse deine Nachricht unbeantwortet; lösche stattdessen das Licht und gehe zu Bett. Nur schnell noch zwei Mails willst du, so hast du es geschrieben, raushauen und dich dann gleich auf den Weg machen. Mir bleibt also nur wenig Zeit, dich heute nicht mehr mitzukriegen. Gelingen wird es mir trotzdem. Wie alles, auch das nur eine Frage der Übung.

 

Es hat eine Weile gebraucht, bis wir uns eingespielt hatten. Bis wir Oberhand gewannen über von Gewissen und Gefühlsduselei geplagte Nachlässigkeiten: jene Verräter, die unserer einvernehmlichen Wahrheit hätten gefährlich werden können. Anfangs erschien es mir fast schwieriger, dein Lügen überzeugend zu glauben, als selbst glaubhaft zu lügen. Inzwischen bin ich richtig gut darin.

 

Ebenso, wie Du gut darin geworden bist, geräuscharm zu sein. Mittlerweile findest du das Schlüsselloch auch im Dunklen mit Tageslichtpräzision; ohne dieses Kratzen, Stochern und Schachern, das es schwer machte, dich glaubwürdig zu überhören. Zumal unser Schlafzimmer mit seinen neugierigen Milchglasscheiben gleich gegenüber der Wohnungstür liegt. Keine Ahnung, wer sich diese Aufteilung ausgedacht hat und warum. Feng Shui ist das sicher nicht. Nicht, dass ich davon groß Ahnung hätte – aber geht es bei Feng Shui nicht um die Harmonisierung des Menschen und seiner Umgebung? Harmonisiert wäre hier aber mal wenig bis gar nichts, würden wir uns nicht selbst kümmern: mit Geräusch- und Lichtarmut du, mit Wahrnehmungsarmut ich. Eine perfekte Symbiose. Wozu das alles gefährden?

 

Da bist du. Schneller, als ich einschlafen konnte. Ich werde es dich natürlich nicht merken lassen. Im Gegenzug wirst Du mich nicht merken lassen, dass du zurück bist. Du hättest nicht duschen müssen – weder dort noch hier. Ich werde den Geruch nicht als fremd wahrnehmen. Und auch den Benachrichtigungston deines Telefons brauchst du nicht stummschalten. Schließlich ist es Teil unserer heimlichen Übereinkunft, dass wir einander keine verfänglichen Fragen stellen. Und daran halten wir uns unter allen Umständen.

 

Was uns bleibt, ist die Ahnung - was uns schützt, der unbedingte Wunsch, zusammenzubleiben.